
Rückblick: Visitation
2. Juni 2025
Vier Wochen lang war das Visitationsteam des Kirchenbezirks zu Gast in den Gemeinden unseres Kirchspiels. Viele Begegnungen und Einblicke in unseren Gemeindealltag, kritische Rückfragen und ermutigende Gespräche prägten die gemeinsame Zeit. Der Abschlussbericht mit ausführlichem Feedback steht zwar noch aus, aber einen Vorgeschmack gab es bereits im zentralen Abschlussgottesdienst der Visitation am 1. Juni in Rothenkirchen, in dem Supn. Weyer die Predigt hielt.
Im Folgenden können Sie die Predigt nachlesen – es gilt freilich das gesprochene Wort, die lebendige Stimme des Evangeliums (viva vox Evangelii).
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
vier Wochen waren wir im Christus-Kirchspiel unterwegs, angefangen am Sonntag Misericordias Domini – dem Hirtensonntag – und heute beenden wir den Besuch.
Es waren vier interessante und bewegte Wochen. Wir haben verschiedene Kreise für unterschiedliche Zielgruppen besucht. Wir haben das Gespräch gesucht mit Gremien und mit einzelnen Verantwortlichen. Wir haben eine Vielfalt an Gottesdiensten erlebt und mit den Mitarbeitenden gesprochen. Und oft habe ich gehört: Das Kirchspiel ist schon sehr groß und Sie sind bestimmt weit gefahren. Ich muss sagen: ich habe das Kirchspiel hell und weit erlebt. Das Fahren macht mir nichts aus, im Gegenteil: Ich habe neue Straßen kennengelernt, habe einige versteckte Winkel gesehen, bin viel gefahren und war manchmal schneller da als vermutet.
Ich möchte an dieser Stelle sagen: Danke für die Gastfreundschaft, Danke für die Begegnungen und Gespräche. Und Danke für so manche Stärkung auf dem Weg.
Heute verabschieden wir uns – aber keine Sorge, wir kommen immer mal wieder. Heute endet jedoch die Visitation, heute am Sonntag Exaudi.
Ein Sonntag der Zwischenzeit. Am Himmelfahrtstag habe ich zusammen mit einer zahlreich versammelten Gemeinde den Waldgottesdienst bei Waldkirchen erlebt. Mit Vogelgezwitscher, mit Posaunenchorklängen feierten wir Gottesdienst mit Taufe und zwischen den Baumkronen leuchtete der Himmel. In diesem Gottesdienst wurde die Gemeinde daran erinnert, dass unser Dasein als Christen nicht darin besteht, in den Himmel zu starren, sondern im besten Sinne bodenständig zu sein, den Blick in die Welt zu richten, zu schauen, was um uns herum ist. Auf dieser kleinen Waldlichtung war etwas Besonderes zu sehen: Die Konfis hatten die Worte Jesu an seine Jünger auf Papierbögen gestaltet und an die Bäume geheftet. Da war zu lesen: Fürchtet euch nicht – Ich bin für euch da – Ihr könnt mir vertrauen.
Und ich dachte: Ja, in unserer Welt ist Gottes Wort gegenwärtig, lebendig gegenwärtig – durch dich, durch mich, durch uns. Durch die Christen hier im Christus-Kirchspiel. Der Auftrag Jesu an seine Jünger ist eine Herausforderung: Der Welt nicht auszuweichen, das Evangelium zu leben und weiterzusagen.
Und da mutet uns das heutige Evangelium einiges zu und fordert uns zugleich heraus. Doch eins nach dem anderen.
Der Sonntag Exaudi markiert eine Zwischenzeit: Zwischen dem zweiten Abschied Jesu und dem Trost, den Jesus verspricht. Oder anders: dem Kommen des Heiligen Geistes, des Trösters, des Beistandes. Die Dynamis, diese Geistkraft Gottes wird seit jenem denkwürdigen 50. Tag nach Ostern in Jerusalem gefeiert. Diese Kraft sprechen wir uns zu, stellen uns unter den Segen des dreieinigen Gottes – Vater, Sohn, Heiliger Geist. Die Dynamis ist uns gegeben, um in der Welt Jesus Christus zu bezeugen bis er wiederkommt.
Liebe Gemeinde,
wir leben in einer spannungsvollen Zeit: Jesus ist fort und wird wiederkommen. Der Heilige Geist, die Geistkraft Gottes ist uns gegeben und doch erleben wir Abschiede und Abbrüche. Wir wollen Hoffnung verbreiten und manchmal fehlt uns die Kraft. Wir sollen Trost spenden und manchmal fehlen uns die Worte. Wir wollen Kirche bauen und schauen in eine kleiner werdende Runde und fragen uns, wie es gehen soll.
Euer Herz ist voller Trauer – sagt Jesus. Traurigkeit hat euer Herz erfüllt, heißt es in einer anderen Übersetzung. Die Trauer kommt allein davon, dass Jesus gesagt: Er geht jetzt zum Vater. Es ist noch nicht eingetreten, aber es ist unausweichlich. Wir lesen: Doch weil ich dies zu euch geredet habe, ist euer Herz voller Trauer.
Jesus sagt, was sein wird, was eintreten wird. Er bereitet die, die ihm folgen, darauf vor. Die Reaktion ist Traurigkeit.
Wir Christen sollten Experten in Sachen Trauer sein. Und wir wissen, dass es gar nicht so einfach ist. Allein, eine unausweichliche Situation zu beschreiben, offen und deutlich, löst etwas aus.
Denken wir an die Worte:
dass wir weniger Gemeindeglieder werden, dass wir weniger Finanzmittel haben werden, dass nicht jedes Angebot vor Ort erhalten werden kann, dass wir weniger Personal haben und lange Vakanzen, dass Gemeinden zusammenarbeiten müssen, dass Traditionen abbrechen werden, weil Generationen unterschiedlich ticken – allein diese Worte lösen etwas aus: Trauer, Ärger, manchmal Wut. Wie können Sie so etwas sagen! – Wie soll das alles werden! – Dafür sind wir nicht angetreten! – Da muss doch jemand etwas tun, damit es so weitergeht wie bisher.
Wünsche sind verständlich, aber nicht immer erfüllbar, aus unterschiedlichen Gründen. Was bleibt, sind die Worte – die nichts beschönigen und viel zumuten. Und die kosten Mut.
Mich erinnert das an Situationen, in denen schlechte Nachrichten überbracht werden müssen. In der Notfallseelsorge oder in der Klinik, die ich aus meiner Tätigkeit kenne: Wie fasse ich eine Zumutung in Worte? Wie sage ich ehrlich und verständlich, dass bspw. ein junger Mensch sterben muss oder gestorben ist?
Weil ich dies zu euch geredet habe, ist euer Herz voller Trauer.
Es kostet Mut, Trauer zuzulassen, denn es bedeutet, eine Situation anzunehmen. Es bedeutet, die Wahrheit nicht beiseite zu schieben und Ideen zu haben, wer etwas machen könnte, damit das Gesagte nicht eintritt.
Ich glaube, dass dieser Moment der Himmelfahrt Jesu, in dem die Jesusnachfolger in den Himmel schauen oder starren, ein wichtiger Moment ist, denn in diesem Moment nehmen sie diese Wahrheit an, dass Jesus nicht mehr bei ihnen ist, sondern zum Vater zurückkehrt. Wir brauchen diese Momente, in denen wir unangenehme und unausweichliche Wahrheiten zulassen und die Trauer spüren, die unser Herz erfüllt. Das Herz eines jeden von uns, das Herz der Gemeinde. Aber wir sollten nicht erstarren.
Die Gemeinschaft kann uns helfen, über die Schrecksekunde hinaus die veränderte Situation zuzulassen und anzunehmen.
Die Situation zu realisieren, dass wir weniger werden, dass wir mit Bedeutungsverlust und Vertrauensverlust kämpfen. Die Situation, dass Religionen und ihre Vertreterinnen und Vertreter immer häufiger angegriffen werden, oftmals verbal.
Die sichtbare Kirche und mit ihr die sichtbaren Christen stehen großen Herausforderungen gegenüber. Herausforderungen aller Couleur. Da ist der Wunsch verständlich, dass Jesus da wäre, dass Gott zeigen möge, dass der Glaube an ihn sich gelohnt hat, dass er die Seinen sammelt und ins ewige Licht führt.
Manchmal höre ich die Sehnsucht nach der Wiederkunft Jesu. Doch lesen wir im Evangelium auch folgendes: Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch.
Ich übersetze es so: Klammert nicht an dem, was gehen wird, sondern lasst euch trösten. Lasst es zu, dass eine Kraft kommt, die den inneren Menschen, die das Herz der Menschen, das Herz der Gemeinde stärkt. Lasst es zu, dass eine Kraft kommt, die jeden von euch und euch als Gemeinden im Kirchspiel aufrichtet. Lasst es zu, dass Ihr aneinander gewiesen seid. Keiner existiert für sich allein, sondern lasst euch trösten und tröstet euch untereinander. Lasst euch beistehen und steht einander bei. Der Geist Gottes wirkt Gemeinschaft mit Gott und Gemeinschaft miteinander, Gott denkt nicht in Grenzen – lasst das zu, nehmt es als Wahrheit an und gebt dem Raum.
Liebe Gemeinde, ich habe es erlebt, auch hier im Christus-Kirchspiel: Dass Ihr füreinander eintretet und dass Ihr einander beistehet. Und das kann wachsen! Ich habe gesehen, dass Neues gewagt wurde – neue Offenheit, neue Gedankenwege, neue Ideen: Kreise, die die veränderte Situation aufgreifen. Initiativen, die die notleidenden Menschen im Blick haben, nicht flächendeckend, sondern punktuell, vor Ort getragen, wie der Brotkorb. Formen, wie nächste Generationen an den Glauben herangeführt werden und ihn leben.
Das gehört zum Blick in die Welt, das gehört dazu, auf den Tröster, auf den Beistand zu vertrauen und ihn wirken zu lassen. Er wird uns stärken, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. Er wird uns aufrichten, damit wir immer wieder neu anfangen, neuen Mut und neue Kraft bekommen.
Er wird uns Worte finden lassen, wie wir der Welt sagen, dass Jesus Christus die Trennung zwischen uns und dem Vater überwunden hat und dass Gott über die Welt seine Gnade ausgießt. Er ermöglicht uns, Brücken zueinander zu bauen.
Er wird uns befähigen, Gottes Liebe und seinen Frieden weiterzutragen.
Mit Paulus möchte ich sagen: Ich bin gewiß, dass uns nichts von Gott trennen kann. Und ich bin gewiß, dass wir Möglichkeiten finden, diese Zusage miteinander zu leben – in gewohnten Formen oder in uns jetzt noch nicht bekannten Formen.
Angelehnt an den Predigttext, mute ich Euch zu und spreche Euch zu: Ihr tragt viel, an manchen Stellen auch Traurigkeit. Lasst zu, was ist, und haltet diese Spannung aus, denn in der Trauer steckt der Keim zur Hoffnung und zum Vertrauen. Der Geist Gottes, der Tröster wird wirken, habt Geduld in dieser Zwischenzeit und lobt Gott für das, was an Euch und durch Euch geschieht – Euch zur Freude und ihm zur Ehre. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.
Predigtlied: EG.E 14 „Lobe den Herrn, meine Seele“









