Gottesdienst – Erklärung der liturgischen Elemente
Der Gottesdienst wird häufig als Herzstück der Gemeindearbeit bezeichnet. Stimmt das?
Im Gegensatz zu anderen Formaten der Gemeindearbeit, die für verschiedene Alters- oder Interessengruppen angeboten werden, ist der Gottesdienst der zentrale Ort, an dem sich jeden Sonntag die ganze Gemeinde im Angesicht Gottes versammelt.
Die ganze Gemeinde?
Ja, das wäre schön und so ist es auch gedacht, nicht nur von der Pfarrerin, sondern auch von Gott. In der Bibel finden wir sowohl im Alten als auch im Neuen Testament Beschreibungen dafür, dass sich entweder das ganze Volk Israel (2. Mose 35,1) oder auch die ganze christliche Gemeinde (Apg 2,42) an ihrem jeweiligen Ort zum Gottesdienst trifft.
Wieso wird dem Gottesdienst so ein hoher Stellenwert beigemessen?
Im Gottesdienst ist Gott verlässlich selbst anwesend. Gott begegnet Menschen und Menschen begegnen Gott. Ich höre und erlebe, was Gott von mir will. Wenn ich als Christ:in leben will, also in meinem Alltag nach Gottes Geboten leben will, dann muss ich doch auch wissen, was Gott von mir will. Der Gottesdienst hilft mir, mein Leben nach Gottes Willen auszurichten und mich auch von ihm korrigieren zu lassen, wenn ich auf dem Holzweg bin. Ich bekenne mich öffentlich zu meinem Glauben an Gott und ich werde auch durch die Gemeinschaft mit anderen Christinnen in meinem Glauben für den Alltag gestärkt.
Wie passt denn Stärkung für den Alltag und die scheinbar weltfremde Liturgie zusammen?
Eigentlich funktioniert der Gottesdienst wie jede zwischenmenschliche Begegnung: Man begrüßt sich. Man hört voneinander und lässt das Gegenüber Anteil haben an eigenen Sorgen und Freuden. Dann besinnt man sich auf gemeinsame Grundlagen und Erfahrungen und bezieht Stellung, übernimmt Verantwortung, man feiert miteinander, am Schluss verabschiedet man sich mit guten Wünschen.
Natürlich haben sich in der langen Geschichte des Gottesdienstes verschiedene Formen herausgebildet, die heute nicht mehr so einfach nachvollziehbar sind. Trotzdem sind sie stimmig und verbinden uns nicht nur mit Gott, sondern auch mit den Christen, die bereits tausend Jahre vor uns Gottesdienst gefeiert haben. Christsein geht immer über Zeit und Raum hinaus. Etwas davon kann man im Gottesdienst erleben.
1. Eröffnung und Anrufung
Wann beginnt der Gottesdienst? Wenn die Glocken läuten, die Orgel spielt oder wenn die Pfarrerin die Gemeinde begrüßt?
Eigentlich alles richtig und doch könnte man spitzfindig antworten: Noch eher! Schon die Vorfreude gehört dazu, der Weg zur Kirche und das Gespräch mit anderen Gottesdienstbesucher/innen. Aber so richtig beginnt der Gottesdienst mit dem stillen Gebet, das jede:r für sich nach dem Ankommen spricht. So quasi als ein ganz persönliches „Hallo Gott, da bin ich.“
Das klingt fast so, als sei Gott der Gastgeber? Laden wir beim Gottesdienst nicht Gott zu uns ein?
Nein, Gott lädt uns ein! Gott ist der Gastgeber. Das wird auch beim Votum („Im Namen…“) deutlich: Da wird klar, in wessen Auftrag und Verantwortung wir zusammenkommen. Das ist etwas anderes als nur ein Treffen von Gleichgesinnten.
Was ist noch prägend für den Anfangsteil?
Der Anfangsteil ist ein intensiver Gebetsteil. Mit dem Psalmgebet treten wir in die Gebetstradition des jüdischen Volkes ein und behalten unsere Wurzeln im Blick.
Der Psalm bietet Worte an, um eigenen Dank, eigene Sorgen, eigene Angst zum Ausdruck zu bringen. Wie oft bin ich sprachlos, wenn es um solche Gefühle geht, da hilft die Gebetstradition der Psalmen. Der Psalm schließt mit dem Gloria Patri ab, es folgen Kyrie und Gloria in excelsis.
Das sind komplizierte Fremdworte.
Deswegen singen wir sie auf Deutsch („Ehr‘ sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist…“). Schon der alttestamentliche Psalter kennt die abschließende Doxologie. Zugleich kennzeichnet das Gloria Patri die christliche Aneignung. Beim griechischem Kyrie erfolgt die Übersetzung im Wechselgesang: Kyrie eleison heißt „Herr, erbarme dich“. Damit drücken wir unser Vertrauen aus, dass Gott die Macht hat, uns aus Not zu befreien. Deswegen legen wir vor Gott ab, was uns bedrückt, und bitten Gott, es wegzunehmen.
Das Gloria in excelsis ist die Wiederholung des Gesangs der Engel auf dem Feld vor Bethlehem: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden, den Menschen ein Wohlgefallen“. Dieser Lobgesang ist Ausdruck unserer Hoffnung, dass Gott Zukunft ermöglicht.
Kyrie und Gloria lassen die Spannweite menschlichen Lebens deutlich werden. Sie nehmen deren Brennpunkte Not/Angst und Hoffnung/Freude auf und in den Gottesdienst hinein. Denn es geht im Gottesdienst um unser Leben und das, was uns bewegt.
Ein kurzes Gebet schließt den ersten Teil des Gottesdienstes ab. Wir sind angekommen. Nun sind wir bereit, auf Gott zu hören.
2. Verkündigung und Bekenntnis
Wie viele Teile hat ein Gottesdienst?
Drei bis vier. Der Gottesdienst beginnt mit dem Teil „Eröffnung und Anrufung“. Dieser mündet ins Tages- bzw. Kollekten- (= Sammel-)gebet: Unsere Gedanken haben sich gesammelt, wir haben uns als Gottesdienstgemeinschaft gefunden, wir sind in Gottes Gegenwart angekommen. Nun sind wir bereit, auf Gott zu hören. Das geschieht im zweiten Teil „Verkündigung und Bekenntnis“. Gott richtet sein Wort an uns durch die Bibel und ihre Auslegung. Wir werden in unserem Vertrauen zu ihm gefestigt in Wort und Tat (Näheres dazu weiter unten).
Regelmäßig feiern wir in unseren Gottesdiensten das Heilige Abendmahl, in dem uns Jesus ganz leiblich begegnet. Dies ist der dritte Teil.
Der vierte Teil heißt „Sendung und Segen“. Gott schickt uns wieder in die Welt. Wir gehen gesegnet in die neue Woche.
Die evangelische Kirche wird manchmal auch als „Kirche des Wortes“ bezeichnet. Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass in der ev. Kirche ein Schwerpunkt auf der Bibel und ihrer Auslegung liegt. Im zweiten Teil des Gottesdienstes werden bis zu drei Bibeltexte vorgelesen. Für jeden Sonntag gibt es eine alttestamentliche Lesung und eine inhaltlich passende Brieflesung aus dem Neuen Testament. Zentral ist jedoch die Lesung aus einem der vier Evangelien. Sie bestimmt das Thema des Gottesdienstes, das jeden Sonntag ein anderes ist (lat. Proprium = das dem Sonntag Eigene im Gegenüber zum gleichbleibenden Ordinarium).
Das Evangelium ist das Zentrum des Gottesdienstes: die frohe Botschaft von Jesus Christus. Der Vortrag des Evangeliums ist schon vom Urchristentum her ein Höhepunkt, bei dem sich die Gemeinde erhebt und den in seinem Evangelium zu ihr kommenden Christus begrüßt („Ehre sei dir, Herr!“) und ihn nach der Lesung preist („Lob sei dir, Christus!“).
Ist nicht die Predigt das Zentrum des Gottesdienstes?
Die Predigt vermittelt das Evangelium ins Leben. Darum nimmt sie den größten Raum im Gottesdienst ein. Durch sie werden die Texte der Bibel lebendig und aktuell. Um die Bibel auszulegen, werden einzelne Männer und Frauen durch die Kirche berufen und für diese Aufgabe gesegnet.
Was ist mit dem Priestertum aller Gläubigen?
Das bezieht sich auf die Gottesbeziehung, nicht auf die Predigt. Mit der Feststellung, dass alle Gläubigen zugleich Priester sind, löste Martin Luther die Ämter der Kirche nicht auf. Das Predigtamt bleibt an entsprechende Ausbildung und Beauftragung gebunden. Aber der Zugang zu Gott ist für jede/n offen. Jede/r kann unmittelbar mit Gott reden – das bedeutet es, Priester/in zu sein.
Inwiefern geschieht im zweiten Teil des Gottesdienstes Festigung des Gottvertrauens in Wort und Tat?
Im Hören auf Gottes Wort durch die gelesenen Texte der Bibel und ihre Auslegung in der Predigt (siehe die vorherigen Ausführungen) werden wir im Glauben gestärkt. Denn diese Verkündigung erinnert uns an Gottes Zuwendung und seine Art und Weise zu handeln. Erinnerung ist zugleich Vergegenwärtigung: Wir werden uns neu der Gegenwart und des Gegenwartsbezuges Gottes bewusst. Wir beziehen Gottes Zuspruch auf uns und erkennen zugleich Gottes Anspruch an unser Leben. Das ermutigt uns zu einem Leben mit Gott, zu einer tragfähigen Gottesbeziehung. Diese Ermutigung wird in den gesprochenen oder gesungenen Bekenntnissen zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus wenden wir uns der praktischen Umsetzung des Glaubens zu.
Welche Bekenntnisse gibt es denn?
Regelmäßig bekennen wir im Gottesdienst miteinander unseren Glauben und unsere Schuld. Im Glaubensbekenntnis erinnern wir uns an die Grundlagen des christlichen Glaubens. Im Schuldbekenntnis bringen wir die Defizite unseres Lebens vor Gott zur Sprache und bitten ihn, dass unser Leben dennoch einen Sinn haben möge. In der Vergebungszusage erkennen wir die neue Chance, die Gott uns gibt, um das Leben zu meistern.
Und wo wird es praktisch?
Schon die Vergebungszusage ist eine praktische Angelegenheit. Denn ich erkenne, wie wenig ich mir selber verdanke und wie sehr ich auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen bin. Das macht mich dankbar gegenüber Gott und großzügiger gegenüber anderen.
Dieser Dank hat im Gottesdienst einen hohen Stellenwert. Er setzt neue Energie frei. Was ich Gott verdanke, möchte ich auch für Gott einsetzen. Ich bringe mich also ein mit dem, was Gott mir anvertraut hat.
Sichtbar wird das beim Dankopfer (Kollekte), das im Gottesdienst gesammelt wird. Es ermöglicht die gemeinsame Finanzierung verschiedener solidarischer Anliegen, mit denen das Reich Gottes auf Erden Gestalt gewinnt.
Ähnlich praktisch ist die Fürbitte zu verstehen. Auch hier lenken wir unser Augenmerk weg von uns selbst. Wir teilen als Gemeinde Freud und Leid, beten für die Hochzeitspaare unserer Gemeinde und auch für die Verstorbenen und ihre Angehörigen. Darüber hinaus geht der Blick in Stadt, Land und Welt. Wir bitten für sie um Gottes Zuwendung in allen Herausforderungen und Nöten.
Innerlich gestärkt sind wir also bereit, Verantwortung für die Außenwelt zu übernehmen.
3. Abendmahl
Fortsetzung folgt
4. Sendung und Segen
Fortsetzung folgt